In einem Dorf, so sagt man, liegt alles so nah beieinander, da weiß jeder alles. Man kennt sich. Wenn nicht persönlich, dann zumindest vom Hörensagen. Das hat seine Vor- und Nachteile. Für Marianne Eckart hat die Gesprächsbereitschaft und Vernetzung von DorfbewohnerInnen nur Gutes. Die ehemalige Lehrerin ist Hobby-Historikerin. Bei Nachforschungen zur Geschichte ihres eigenen Hauses stieß sie unweigerlich auch auf jene von Engelmannsbrunn. Vollständig wurde diese aber erst mit den Erzählungen und Fotos der BewohnerInnen.
Einblicke ins Gestern
Engilmarisprunnen. Es erfordert ein geschultes Auge, um die erste schriftliche Erwähnung von Engelmannsbrunn auf der Stiftungsurkunde aus dem Jahr 1112 zu entziffern. Seither ist in dem kleinen Ort am Wagram viel passiert. Marianne Eckart ist es gelungen, das meiste davon zu dokumentieren. Über mehrere Jahre hinweg hat sie verschiedene Quellen recherchiert, mit ArchivarInnen, ForscherInnen, anderen geschichtsinteressierten Personen aus ihrer Umgebung, aber vor allem mit EngelmannsbrunnerInnen gesprochen und alte Texte und Fotos zusammengetragen. Ursprünglich wollte sie damit nur eine Ausstellung anlässlich der 900 Jahrfeier im September 2012 ausrichten. Auf vielfachen Wunsch wurde daraus aber schließlich auch ein Buch.
Ein Ort im Wandel
Die Dorfchronik Engelmannsbrunn beginnt mit dem geschichtlichen Hintergrund: der Ortsentstehung und -entwicklung, vor allem auch später zur Zeit Kaiser Friedrich des III. und während der Kriege. Marianne Eckart beschäftigt sich mit den Bereichen „Recht & Politik“ und „Bildung, Glaube & Regulierung“, ehe eine Auflistung von 16 Berufsgruppen und Gewerken folgt. Diese Zahl ist bis heute stetig geschrumpft: Neben dem klassischen Acker- und Weinbau gibt es noch den Heurigen von Gerlinde und Ernst Heiß, den Ab-Hof-Verkauf der Bio-Landwirte Claudia und Toni Eckart und die Schweinzucht von Stefan Stadler. Der einzige Betrieb im Ort ist unser Gestaltungsbüro.
Beeindruckend ist bei den Ausführungen über das frühere Berufsleben auch das Verhältnis von Mensch und Tier. Nachdem ein überwiegender Teil der EngelmannsbrunnerInnen von der Landwirtschaft lebte, gab es Jahre wie beispielsweise 1845, in denen es im Ort mehr Nutztiere als BewohnerInnen gab. Doch auch das hat sich gewandelt: Die wenigen Tiere, die es in Engelmannsbrunn noch gibt, werden fast ausschließlich privat gehalten.
Engelmannsbrunn von heute
Aktuell leben in Engelmannsbrunn 330 EinwohnerInnen in 130 Häusern. Marianne Eckart hat die Gebäude in ihrer Dorfchronik alle erfasst – inklusive ihrer BesitzerInnen und BewohnerInnen, die teilweise bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgt werden konnten. Wir EngelmannsbrunnerInnen haben den Ort schon immer in Oberort und Unterort geteilt, und uns selbst scherzhaft in „Obererdler“ und „Untererdler“. Es ist eine Neckerei, die wir beim Fußballspiel gerne fortführen. Das Turnier „Oberort gegen Unterort“ hat bei uns eine lange Tradition und wurde vom Dorferneuerungsverein wiederbelebt. Überhaupt passiert bei uns sehr viel. Der Ort wächst und verändert sich. Darauf legen wir EngelmannsbrunnerInnen wert. Unsere 288-seitige Dorfchronik liefert den Beweis.
Zwischen Pflicht und Kür
Als Engelmannsbrunner Gestaltungsbüro war es für uns Pflicht und Freude zugleich, an dem Projekt mitzuarbeiten. Wir haben Marianne Eckarts Recherchen strukturiert, in eine lesbare Form gebracht und 2015 in einer Auflage von 230 Stück veröffentlicht. Die Finanzierung erfolgte über den Dorferneuerungsverein, in dem Dieter Fritz damals Obmann war. Vertrieben wurde die Dorfchronik im Kaufhaus Bauer am Standort der ehemaligen Greißlerei in Engelmannsbrunn, das mittlerweile in Folge der Corona-Krise 2020 geschlossen wurde, und über uns und Marianne Eckart.
Das Buch war innerhalb kürzester Zeit vergriffen. Mit seiner Entstehung hat es wesentlich zur Identitätsstiftung im Ort beigetragen. Es hat die EinwohnerInnen zusammen und ins Reden gebracht. Schließlich sind wir hier am Land. Da weiß bekanntlich jeder alles. Und nach diesem Projekt noch viel mehr.
PROJEKTPARTNERIN: Marianne Eckart, Inhalt & Recherche