Struktiv

ESSEN VOR ORT – DAS ESSEN

KONZEPTION & PROJEKTENTWICKLUNG, WEBSITE

Kann ein 330-Einwohner-Ort Inspiration für eine ganze Reihe kulinarischer Projekte sein? Ja, wie das Beispiel Engelmannsbrunn zeigt.

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Der Himmel ist wolkenverhangen, die Straßen sind leer: An trüben Tagen könnte Engelmannsbrunn genauso gut als Schauplatz für einen Brenner-Krimi des österreichischen Schriftstellers Wolfgang Haas herhalten. „Tristesse mit Charme“ beschreibt die Stimmung wohl am besten: Es ist das vorurteilsbehaftete Bild, das beim Gedanken an ländliche Regionen allzu gerne aufpoppt. In einem Zeitungsinterview haben wir es einmal so formuliert: „Wenn man von Kirchberg nach Engelmannsbrunn fährt, glaubt man erst, da kommt nichts mehr.“ Und dabei schmunzeln müssen. Weil wir wissen, wie sehr dieser Eindruck täuscht. Und dass menschenleere Straßen genau genommen nichts über das Leben und Arbeiten am Land aussagen. Vor allem hier in Engelmannsbrunn, vor allem hier am Wagram.

 

Wertschätzung für das Regionale

Wir gehen mit offenen Augen durch die Region. Wir leben und arbeiten hier, und sind täglich in Kontakt mit lokalen Betrieben, mit denen wir gemeinsam Projekte umsetzen. Betriebe, die teils alteingesessen sind und über Generationen bestehen. Die durch ihre Arbeit die Kultur und das Landschaftsbild, die Essens- und Trinkgewohnheiten, kurz: das Leben am Wagram prägen. Dazu gehören Landwirt:innen ebenso wie Handwerker:innen, Köch:innen, Bäcker:innen, Imker:innen, Brauer:innen, Brenner:innen und viele mehr. Die Dichte an lokalen Produzent:innen ist enorm, ihr Potential und die Qualität ihrer Erzeugnisse hoch. Davon sind wir derart überzeugt, dass wir ihre Arbeit nach außen tragen möchten: stärker und weiter, als es ihnen im Alleingang vielleicht möglich wäre.

Sonja Planeta, freie Journalistin aus Feuersbrunn, und Susanne und Dieter Fritz, Inhaber des Gestaltungsbüros „Struktiv“ in Engelmannsbrunn, gehen mit offenen Augen durch die Region Wagram, in der sie leben und arbeiten.
Sonja Planeta, freie Journalistin aus Feuersbrunn, und Susanne und Dieter Fritz, Inhaber des Gestaltungsbüros „Struktiv“ in Engelmannsbrunn, gehen mit offenen Augen durch die Region Wagram, in der sie leben und arbeiten.

Das Potential aufzeigen

Das war schon unser Anliegen, als wir 2016 den Relaunch des Wagramer Regionalmagazins NEULAND übernommen haben. Die Einbindung lokaler Produzent:innen und Handwerker:innen war von Beginn an Teil der neuen Blattlinie. Für jede Ausgabe wurden seither jeweils drei Unternehmer:innen aus der Region besucht und porträtiert und je fünf Produkte regionaler Produzent:innen vorgestellt. Aufgrund der zahlreichen Betriebe allein in Engelmannsbrunn kam uns schließlich eine Idee: Warum nicht das Engelmannsbrunner Feuerwehrfest ausschließlich mit regionalen Produkten ausrichten? Oder besser: Warum nicht ein eigenes, für den Wagram neuartiges Eventformat entwickeln?

Die Zutaten und Produkte für die Veranstaltungen werden aus der direkten Umgebung des jeweiligen Ortes bezogen.
Handwerk spielt eine zentrale Rolle: Das Geschirr unserer Veranstaltungen fertigt Iris Auer-Möseler in Sachsendorf.

Wagramer Pop-up

Wir nennen dieses Eventformat ESSEN VOR ORT. Weil es ohne Umschweife auf den Punkt bringt, was wir tun: nämlich der Regionalität den Vorzug geben. Beim Essen, aber auch in anderen Bereichen des Lebens. Mehrmals pro Jahr bringen wir nun also im Rahmen von Veranstaltungen die besten lokalen und regionalen Produkte auf den Tisch. Zum einen bei Pop-ups, bei denen wir die Speisen selber zubereiten und anbieten: Ähnlich wie bei einem Imbisstand kommt der Gast zu uns an die Bar, bestellt, bezahlt und nimmt sein frisch zubereitetes Essen und seine Getränke umgehend mit zu einer der Sitzmöglichkeiten vor Ort. Die „Hemmschwelle“, um an einem Pop-Up teilzunehmen, ist bewusst niedrig halten, um möglichst viele Gäste anzusprechen. Das gelingt uns auch sehr gut: Pro Pop-up haben wir zwischen 180 und 220 Gäste. Die Zielgruppe ist überwiegend lokal.

 

Das exklusive Dinner

Zum anderen gibt es unsere Dinner, für die wir uns Unterstützung von einer Gastköchin oder einem Gastkoch holen, die/der an zwei aufeinanderfolgenden Abenden aus lokalen Zutaten ein mehrgängiges Menü zubereitet. Der Veranstaltungsort bleibt – im Gegensatz zu unseren Pop-ups –bis zum Schluss geheim. Sicher ist nur, dass es sich um einen speziellen Ort handeln wird, an den man für gewöhnlich nicht kommt – schon gar nicht, um dort zu essen. Um an einem Dinner teilzunehmen, muss man vorab ein Ticket kaufen. Die Plätze sind auf 32 Personen pro Abend limitiert. Für dieses Format reisen unsere Gäste teils auch aus benachbarten Bundesländern an.

Der Floh am Feuerring bei dem Dinner BÜFFE & FEIA.
Der Floh am Feuerring bei dem Dinner BÜFFE & FEIA.

Handwerk im Mittelpunkt

Ein wesentlicher Unterschied von ESSEN VOR ORT zu vergleichbaren Events ist, dass bei uns das Handwerk eine zentrale Rolle spielt. Wenn wir von Regionalität sprechen, dann umfasst dieser Begriff für uns mehr, als nur unsere Lebensmittel. Darum ist es für uns selbstverständlich, dass wir neben Köch:innen und Landwirt:innen auch mit Tischler:innen, Keramiker:innen, Kerzenmacher:innen und vielen weiteren Handwerker:innen zusammenarbeiten. So stammen etwa unsere Möbel von Farthofer aus Gösing, die Teller von Iris Auer-Möseler aus Sachsendorf und Beate Seckauer aus Neuzeug, die handgezogenen Kerzen von Koch-Kerzen aus Gföhl, Servietten und Schürzen von der Blaudruckerei Koó aus Steinberg-Dörfl und die Gläser von Zalto. Die Menükarten werden im alten Buchdruckverfahren im Druckwerk Krems produziert.

 

An den Nachwuchs denken

Und noch etwas liegt uns bei ESSEN VOR ORT am Herzen: Die regionale Wissensvermittlung an Kinder und Jugendliche. Wir sehen bei unserem eigenen Nachwuchs die Begeisterung für alles Handwerkliche, alles Selbstgemachte, vor allem aber für die Natur. Diese Entdeckerfreude und Gestaltungslust bringen Kinder bereits mit auf die Welt. Wir wollen beides im Rahmen unserer Möglichkeiten fördern und organisieren deshalb jährlich und zusätzlich zu unseren Kulinarikevents auch altersgerecht aufbereitete Workshops, bei denen die Themen Handwerk, Landwirtschaft und Kulinarik spielerisch vermittelt werden.

 

Die eingangs erwähnte Tristesse? Die ist hier am Land tatsächlich ein Trugbild.

 

IDEE, KONZEPT & UMSETZUNG: Susanne & Dieter Fritz, Sonja Planeta
TEXT: Sonja Planeta
FOTOGRAFIE: Florian Schulte

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